Fortsetzung Mut und Sinnlichkeit,
Entgegen gesetzt zu den religiös-hoffnungsfrohen Bildern von Schäfer, tragen die Kompositionen von Veit Ferrer etwas Pessimistisches mit sich. Obwohl seine Landschaften glänzen, obwohl Sonne, Licht und kräftige Farbe herrschen, verbreitet sich dort eine Weltuntergang-Stimmung.
Der Titel eines früheren Bildes von Ferrer, „Die Möglichkeit einer Insel“, ist dem Titel eines Romanen von Michel Houellebecq entnommen, jenem französischen Autor, der wegen seiner eher einfallslosen und reaktionären Ansichten zur Sexualität und seiner destruktiven Zukunftsvisionen vor einiger Zeiten für hausgemachte Skandälchen sorgte. Ein wenig wie in den Büchern von Houellebecq, ist die Menschheit in den Bildern von Ferrer von dem Feld desertiert. Die Landschaften, die sie bisher rücksichtslos okkupiert hielt, sind fluchtartig verlassen worden. Eine gespenstische Stille schwebt über die Pyräneen. Welche Plage biblischer Ausmaß, welcher wütende Taifun, welcher Supergau hat das Menschengeschlecht aus den anmutigen Bergen weg gefegt? Nichts von alledem. Das können die Menschen selber leisten, erzählt uns Houellebecq. Menschen sind genial. Sie können sich ohne Partner multiple Orgasmen zufügen oder gar reproduzieren, sie können aus ihrer Umwelt Scheiße machen, sie in Gold verwandeln um es wieder als Scheiße zurückzuführen, und, aus einer exzentrischen Laune heraus, können sie sich überdies selbstständig und ohne externe Hilfe auflösen. Wir verschwinden langsam aber sicher, erzählt Houellebeck, der auf Lanzarote sein mal de vivre rauchend und schreibend kultiviert. An der Frage, ob es noch eine Insel der Menschheit gibt, ein Ort wo, nach dem Post-Post-Existentialismus, reale Menschen zu treffen seien, weißt der Schriftsteller kein erlösendes Antwort, und kaschiert seine Verlegenheit - oder seine Verzweiflung - mit einem höhnischen Lächeln.
Ich glaube, dieses höhnische Lächeln in den Bildern von Veit Ferrer wieder gefunden zu haben. Seine Berglandschaften lächeln so; böse, traurig, grausam und, ja, tatsächlich, verzweifelt. Sie sind von den Menschen verlassen worden, aber immer noch mit deren zivilisatorischen Überbleibseln belastet. Malerische Dörfchen stehen da, wie billigen Ausstellungsstücke in einem maroden Freiluftmuseum. Nur dass hier Keiner zu Besuch kommt, nur dass das Reservat leer bleibt. Und wenn eine menschliche Figur in diesen Gemälden erscheint, ist es nichts anderes als ein Geist, der vergessen hätte, seine Koffer zu packen und dahin zu verschwinden, wo er eigentlich gehört. Er gehört eindeutig nicht dazu. Er gehört nicht zu dieser festen Welt, mit seinen zweidimensionalen Agaven aus Pappmaché und klinisch-sauberen Stränden.
Ich spreche von einer verschwundenen Menschheit. Aber ist die Natur nicht genau so abweisend und abwesend? Ferrer malt das Paradies nach der Selbstverbannung von Adam und Eva. Und es sieht wie ein Bild aus dem letzten Urlaub aus. Die glatte, keim- und sensibilitätsfreie Technik seiner Malerei betont noch die Ästhetik des Urlaubsklischees, trotz der ständigen Brüche, die Ferrer gekonnt einsetzt. Das unbewegte Licht, scharf, falsch, aggressiv und künstlich, das auf diese Rekonstruktionen von Natur fällt, ist an sich schon ein Geständnis des Künstlers: Nein, es gibt keine Insel der Menschheit, denn es handelt es sich hierbei um keine Insel, nur um das tausend Mal wieder gekaute Abbild eines Ortes, das vor langer Zeit als Insel der Menschheit empfunden und heute zu einem inhaltsleeren Symbol gemacht wurde. Es ist das gemalte Bild eines fotografischen Bildes einer Insel. Und ein Mensch werden wir auch nicht finden - höchstens die Illusion eines Menschen.
Das Pendant von Illusion ist nicht zwangsläufig Desillusion. Dass Illusion ein erstrebenswerter Zustand ist, den man sich lustvoll hingibt, beweisen die Bilder von Julia Rüther.
Mit höchster sinnlicher Freude malt Julia Rüther Motive die eine ferne Verwandtschaft zu Stoffen oder Gegenständen unterhalten. Objekte, die den preziösen Anschein eines überflüssigen und hochfeinen Ornaments besitzen. Sie erscheinen in der Dunkelheit in all ihrer Pracht, isoliert, stark leuchtend, und das Auge, welches in ihrem Bann steht, kann lange über ihre Oberfläche streifen. Es streift, aber erfährt nichts. Ist das ein Virus, eine Amöbe, oder ein Zierdeckchen aus Spitze, ist das eine Koralle, ist das ein modisches Mobile? Die Struktur dieser Objekte bleibt unsichtbar - vielleicht weil sie inexistent ist. Es herrscht der schöne Schein der Hülle, der Prunk der Fassade. Die Malerei von Julia Rüther will nur die Haut der Dinge. Es ist eine verführerische Malerei, die in vollem Ornat erscheint und ihre Bewunderer blendet. Und es ist vor allem reine Malerei, autonome Malerei.
Blenden und Verblendung sind hier, ob man sie wörtlich nimmt oder nicht, zwei wichtige Begriffe, die die Strategie dieser Malerei zu verstehen hilft. Die Künstlerin setzt in ihren Schmuckstücken Lichteffekte aller Arten, die sich wie die eigentlichen Sujets der Bilder verhalten. Es ist das sanfte, warme und diffuse Licht dieses Gemäldes (rot), ein gedimmtes, stimmungsvolles Funkeln, das man in der Kuschelecke einer Berliner oder Düsseldorfer Loungebar wieder finden könnte. Oder das krude, harte und unbeholfene Licht dieses anderen Stücks (weiß), das so brutal und banal wie das Blitzlicht einer Amateurkamera wirkt. Es ist jedenfalls ein Licht, das stets von Außen kommt. Es ist nicht die Aura, die aus einem Wesen ausstrahlt, es ist das Spotlight der Inszenierung, die außerhalb bleibt, nie eindringt und stets lügt. Mit dieser Technik bringt Rüther gar nichts ans Licht, nein, im Gegenteil, sie führt uns hinters Licht (ja, es ist ein wirklich sehr einfaches Wortspiel, aber es tut mir Leid, ich konnte mich nicht widersetzen).
Die mandalaartigen Gebilde, die aus monochromen Hintergründen heraus stechen und nicht ohne Grund an Spitzengewebe erinnern, sind pure Ornamente; selbstverliebte, dekorative Formen, die, in dieser klinischen Präsentation, wenig anderes zu sagen haben als: „Ich bin schön, erfreu dich an mir!“. Die Funktion der Spitze ist repräsentativer Art: Als Halskrause verarbeitet, diente sie die Hervorhebung des Gesichtes und besaß vor allem den ostentativen Charakter aller anderen Luxusgüter. Die Spitze war der feine Unterschied von Damals, überflüssig, spaltend, den sozialen Rang ihres Trägers demonstrierend. Die liebevoll-rotzige Malerei von Julia Rüther scheint von diesem teueren, schönen Schein, ebenso fasziniert wie angewidert zu sein. Es gibt etwas Vorsichtiges und gleichzeitig Zerstörendes in diesen kleinen Formaten. Rüther infiziert die edlen, bürgerlichen Symbole des Wohlhabens mit Drippings und Sprays, oder behandelt die spießige Feinheit manche Stoffstücke mit einem betonten plumpen Duktus, respektlos und trotzdem distanziert. Die Referenz an die Underground-Kultur (und seit Katharina Grosse an einer Underground-Kultur, die sich in den Tempeln der Hochkultur eingenistet hat) sind deutlich in den verschmierten und versprühten Farbspuren zu finden.
Eingeladen bei einer alten Tante zum Teetrinken, zeigt sich Julia Rüther von dem Porzellanservice und von dem Zierdeckchen stark beeindruckt. Aber mit einer boshaften Freude, versucht sie niemals zu verhindern, dass das vornehme Rüstzeug befleckt wird oder sogar zerbricht.
Da auch erscheint die Verbindung zu den multimedialen Objekten von Julia van Koolwijk, die - gleich einer modernen Penelope -, seit Jahren intensiv an ihren Textilienskulpturen arbeitet.
Beim ersten Blick strahlen ihre Objekte eine gewisse Vertrautheit. Es sind familiär wirkende Gegenstände in freundlichen Farben und aus weichem Material. Und in der Tat, handelt es sich zum Teil um die Visualisierung der Familie der Künstlerin. Familie im erweiterten Sinn: Die Freunde, die Bekannten, die geistige Verwandten, die Sippe, all die Menschen die für van Koolwijk besonders zählen werden auf Polsterwatte und Textil eingefügt. Eingenäht. Verwoben. Verbunden. Angeschlossen. Verflechtet. Geduldige Spitzenklöpplerin, die den abstrakten Stoff der zwischenmenschlichen Beziehungen verarbeitet, die, im symbolischen Akt des Zusammennähens, affektive Strukturen im Raum sichtbar und greifbar macht. Dabei findet sie bei jeder neuen psychischen Menschenkonfiguration eine passende physische Übersetzung, welche die Eigenart der Verknüpfung entspricht und die innige Verbindung, die Vater mit Tochter, Mann mit Frau, Mutter mit Mutter vereint, auf dem Punkt bringt.
Die subjektive Vernetzung bricht in manchen Objekten auf; Solitäre sondern sich aus dem Stoffmikrokosmos ab und werden in den unterschiedlichsten Haltungen inszeniert. Es sind puppenhafte Modellierungen von seelischen Zuständen, die von einem verspielten Mädchen in einer imaginären Landschaft platziert werden. Das Organische der Haut und der Haare vermischt sich hier mit dem Stofflichen der Textilie und der Fäden in einer merkwürdigen, teils empfindlichen, teils monströs-grotesken Erscheinung. Vor wenigen Jahren, hat sich die stark objektgerichtete Erscheinung der Skulpturen von Julia van Koolwjik aufgelöst. Fremden Elemente, deren Bestimmung sich als rätselhaft erweist, dringen in den Körper hinein, befallen den Leib, und wuchern wild - wie Maden eine Leiche befallen, wie Efeu über einem Grab wuchert. Es verfranst. Es werden noch mehr Medien als zuvor vermischt. Die Kreaturen sind Bastarde aus Foto, Film und Filz, in immer komplexeren räumlichen Arrangements.
Mit einer gewissen Selbstironie setzt Julia van Koolwijk eine Tradition fort, die in unserem postindustriellen und hoch technologisierten Alltag ziemlich anachronistisch wirkt. Einst als edle, höfische Beschäftigung, bevor es manchen Länder Europa zur wirtschaftlich-kulturellen Blüte verhalf, ist das Nähen und Weben - mit deren künstlerischen Sparte, dem Klöppeln - heutzutage zu einem Hobby und muffigem Beiklang degradiert worden. Die Tätigkeit ist zutiefst häuslich, weiblich, handwerklich, kleinlich und dekorativ - also überflüssig - geprägt. Und genau deshalb griffen Künstlerinnen wie Meret Oppenheim, Ghada Amer oder Tracey Emin auf diese Praxis zurück; um sich diese negativ kanonierte Frauenbeschäftigung wieder anzueignen und sie gleichzeitig aus ihrem ursprünglichen Assoziationsfeld zu entrücken. Diese Zurückeroberung einer ehemaligen weiblichen Selbstbehauptung ist auch ein Element des Widerstandes, das die Skulpturen von Julia van Koolwijk kennzeichnet.
Das Form gewordene Netzwerk mancher der Stoffpuppen ist paradigmatisch für den Geist der Ausstellung „Mut und Sinnlichkeit“. Die heute anwesenden Künstler werden zusammenzucken, aber ich habe den Eindruck, dass es die Familie von Wolfgang Schäfer ist, die in dieser Halle versammelt ist. Wir haben oberflächigen Ähnlichkeiten in den Bergen von Schäfer und Ferrer erkannt, in dem Strickmuster, der Stricktechnik von Julia van Koolwijk und von Julia Rüther, in den religiösen Motiven von Schröter und (schon wieder) Schäfer wiederholt konstatiert. Andere Ähnlichkeiten lassen sich auf einer tieferen Ebene feststellen; viele Arbeiten werden von einer Sehnsucht nach dem Erhabenen, oder von einer melancholischen Schönheit durchtränkt, viele Arbeiten verbindet die Liebe für das erzählfreudige Motiv, dessen Bedeutung sich jedoch unendlich öffnet.
Wie alle Familien, ist diese Familie aus Blutsbrüdern und entfernten Cousins gebildet. Von Menschen mit der innigsten Verbindungen und Menschen, die sich nicht ausstehen können. Und noch von Menschen, die gar nicht wussten, dass sie eine so große Familie haben. Trotz seiner Vorliebe für Verantwortungsübernahme und Organisierung, ist Wolfgang definitiv nicht das Oberhaupt dieser Familie. Er ist ein Glied wie alle anderen, der es aber auf sich genommen hat, das kleine Familientreff des heutigen Abends zu veranstalten. Und deshalb möchte ich dir, Wolfgang, im Namen der versammelten Blutsbrüder und entfernten Cousins herzlich danken.
Emmanuel Mir, März 2008
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